The Future Of Democracy – Wie Hate Speech und Verschwörungsmythen unser friedliches Zusammenleben gefährden und was wir dagegen tun können

Angeregt durch den Bezirk Oberbayern und zusammen mit dem postmigrantischen AusARTen-Festival veranstaltete der Bezirksjugendring Oberbayern am Samstagabend den 29. Oktober einen Expert*innentalk zur Zukunft unserer Demokratie.

 

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Weitere Informationen

 

Das Podium bestand aus:

Khesrau Behroz, Journalist und Macher des Podcast „Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen?“,

Benjamin Fischer, Programmmanager bei der Alfred Landecker Stiftung mit Schwerpunkt Entwicklung und Umsetzung digitaler Initiativen und Projekte u.a CEMAS,

Joachim Jumpertz, Aussteiger aus der Querdenker*innen-Szene,

Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing und

Dr. Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

 

Moderiert wurde die Runde von den Journalistinnen Julia Ley und Nabila Abdel Aziz, die durch den Abend führten.

 

Die Kernfragen waren:

  • Was bringt Menschen dazu, sich antidemokratischen Strömungen anzuschließen und sich zu radikalisieren?
  • Welche Rolle spielen Verschwörungsmythen dabei?
  • Inwiefern sind unterschiedliche gesellschaftliche Schichten und Gruppen – insbesondere Minderheiten – anders davon betroffen.
  • Welche Chancen und Gefahren bieten neue technologische Entwicklungen?
  • Und was können wir als Gesellschaft und Gestaltende der Jugendarbeit tun, um demokratische Strukturen zu stärken.

 

Einen sehr persönlichen Beitrag zur Frage nach den Motiven der Beteiligung an antidemokratischen Strömungen lieferte gleich zu Beginn Joachim Jumpertz, Busunternehmer und ehemaliger Deutschlandsprecher der Querdenken-Bewegung. Er schilderte seine Erfahrungen aus dem inneren Zirkel der Bewegung zu Beginn der Proteste. Seine Motivation, sich an den Demos zu beteiligen, speiste sich in erster Linie daraus, sich Gehör zu verschaffen. Durch die Corona-Maßnahmen kam es in seinem Unternehmen zu massiven Umsatzeinbußen und damit auch zur Angst um seine berufliche und finanzielle Existenz. Die Demos seien für ihn und zahlreiche andere anfänglich ein Hilferuf gewesen. Rasch jedoch sei die Gruppierung von Menschen unterwandert worden, die die Krise für ihre eigenen Ziele instrumentalisierten und damit Extremismus und Radikalisierung förderten. Für Joachim Jumpertz war das der Zeitpunkt für seinen Ausstieg.

 

Dr. Matthias Pöhlmann unterstützte die These der Radikalisierung der Querdenker-Szene unter Berufung auf eine Studie der Universität Bern. Darin werde deutlich, wie diese neue soziale Bewegung von links nach rechts abdrifte.

Durch die Corona Pandemie wurde die Verbreitung neuer und alter Verschwörungs­erzählungen befeuert, denn diese bieten häufig einfache Antworten auf sehr komplexe Verhältnisse. Als drei zentrale Elemente vieler Verschwörungserzählungen seien folgende zu identifizieren, so Pöhlmann: Nichts ist so wie es scheint, alles hängt mit allem zusammen und es gibt keinen Zufall. Der Sektenbeauftragte sieht in diesen eine ideologische Brücke zu esoterischen Weltanschauungen. Damit erkläre sich, warum auch viele Esoteriker*innen auf den Querdenker*innen-Demos zu finden gewesen seien.

 

Trotz der Heterogenität der Verschwörungsgläubigen seien Gemeinsamkeiten festzustellen, erläuterte Herr Dr. Pöhlmann. Hätten sich Verschwörungsgedanken verfestigt, halte er den Versuch, Verschwörungsideologien zu widerlegen, für aussichtslos. Sein Tipp: Die Betroffenen nach ihren Motiven zu fragen, in Kontakt zu bleiben und Weltbildveränderungen frühzeitig wahrzunehmen. Außerdem empfahl der Experte, unbedingt dann eine rote Linie ziehen, wenn es sich zum Beispiel um rassistische oder antisemitische Narrative handle, denn dann könne Schweigen sehr schnell als Zustimmung gedeutet werden.

 

Der Journalist Khesrau Behroz wies anschaulich auf den potentiellen Sog radikalisierenden Gedankenguts hin. Sein Podcast „Cui Bono“ beschreibt die Geschichte von Aufstieg und Fall von Ken Jebsen. Der ehemalige Radiomoderator wurde zu einem der wohl einflussreichsten Verschwörungsideologen Deutschlands. In seinem Podcast versucht Behroz die Momente herauszuarbeiten, die dazu führten, dass der talentierte und beliebte Radiomoderator sich immer mehr zurückzog, um später sein eigenes „Netzwerk für alternative Fakten“ zu gründen.

 

Die Medienlandschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Informationen fließen wesentlich schneller und über vielerlei unterschiedliche Kanäle. Informationen zu filtern und zu bewerten wird immer mehr zu einer Herausforderung. Durch diese Undurchschaubarkeit gelangen viele gezielt falsche oder irreführende Informationen zu großen Teilen der Bevölkerung. Zudem, so Behroz, werde die migrantische Community oftmals nicht genug mitgedacht. Geeignetes Informationsmaterial, beispielsweise in anderen Sprachen, war während der Pandemie nur schwer zu finden. Sogenannte alternative Fakten fänden so leichter ihren Weg zu den Menschen.

 

Die Direktorin der Akademie für politische Bildung Tutzing, Prof. Ursula Münch, beschrieb den Zeitpunkt der Maßnahmen-Lockerungen während der Corona-Pandemie als Wendepunkt. Die zuvor vorhandene Zustimmung aus der Bevölkerung für politische Entscheidungen nahm ab diesem Zeitpunkt deutlich ab. Nicht ganz durchdachte Lockerungsmaßnahmen und gefühlte oder erlebte Ungleichbehandlungen hätten zu Unzufriedenheit und Misstrauen in Teilen der Bevölkerung geführt und letztendlich auch zum Umdenken Einzelner.

 

Politische Bildungsarbeit habe einen vorwiegend präventiven Charakter und erreiche Menschen nur direkt, die auch erreicht werden wollten, so Münch. Die Leiterin der Akademie Tutzing setzt sehr stark auf die Unterstützung durch Multiplikator*innen und appelliert, Kommunikation aufrecht zu erhalten. Sobald man weghöre, werde es problematisch. Zentral sei dafür aber auch, in Debatten wieder mehr Grautöne zuzulassen.

 

Benjamin Fischer schließlich sprach sich für eine stärkere und digital resiliente Zivilgesellschaft aus – also eine Gesellschaft, die es schaffe, eigene digitale Räume zu gestalten und aufzubauen, sowie eine Zivilgesellschaft, die digitale Räume verstehe und damit umzugehen wisse. Denn wenn in Zukunft Demokratie online verhandelt werde, dann brauche es mehr Menschen, die diese Räume verstehen können. In Sachen Falschinformationen und Verschwörungsideologien setzt Fischer auf das Konzept des Prebunking, also den Versuch, Menschen bereits vorab gegenüber Fake News und Co. unempfänglicher zu machen.

 

Das Fazit:

Nach einem Abend angereichert mit wertvollen Thesen und Berichten lässt sich sagen: Demokratie ist zerbrechlich und wenig selbstverständlich. Grenzen werden ausgelotet und Dinge in Frage gestellt. Gerade wird sichtbar, was im Grunde schon da war. Es zeigen sich Unzufriedenheit mit Verhältnissen, Unsicherheit auf verschiedenen Ebenen und das Unverständnis für Entscheidungsprozesse, die schwer nachzuvollziehen sind. Das bringt eine unbedingte Notwendigkeit aber auch Chancen für Austausch, Gespräche und für das Erkennen der Zusammenhänge mit sich. Wir alle müssen wieder mehr zuhören. Wir müssen mehr miteinander sprechen und nach den Motiven fragen – denn häufig sind es Angst und Verunsicherung, die Menschen dazu bringen, einen anderen Weg einzuschlagen. Es braucht spannende Konzepte und engagierte Multiplikator*innen im Bereich der Demokratiebildung, Prebunking statt Debunking und ein Verständnis vom Einfluss der Medien und deren Funktionsweise. Dabei ist es wichtig, alle Generationen, gesellschaftliche Schichten und Gruppen mitzudenken. Dann gehen wir gemeinsam gestärkt aus der Krise.