Netzwerk „so far – so queer“ – Interview mit Markus Apel in der SZ

„Das Schlimmste ist, wenn man angegriffen wird und niemand hilft“

 

Die Politik will nun die Rahmenbedingungen für queeres Leben verbessern. Doch auch Jugendverbände
können einen wichtigen Beitrag leisten
Ebersberg – Anlässlich des Weltfrauentages hat das Netzwerk „So far so queer“ in Kooperation mit
den Kreisjugendringen Ebersberg, Dachau und München-Land sowie der Kommunalen Jugendarbeit
Dachau eine besondere Online-Veranstaltung geplant. Markus Apel vom Lesben- und Schwulenverband
(LSVD) Bayern ist zu Gast und wird einen Vortrag zum neuen Koalitionsvertrag in Bezug auf
queeres Leben halten. Im Fokus sind die damit verbundenen Möglichkeiten für die Bildungs- und Jugendarbeit
in Gemeinden.

SZ: Warum ist der Weltfrauentag nicht nur für Frauen ein wichtiger Tag?
Markus Apel: Grundsätzlich sollte die Gleichberechtigung im Sinne aller Geschlechter sein. Außerdem
treffen gewisse strukturelle Erfahrungen, die Frauen erleben, auch auf andere Geschlechter zu,
etwa auf Menschen die transgeschlechtlich sind oder mit nicht-binären Geschlechtsidentitäten. Auch
diese sind von Benachteiligung und Diskriminierung betroffen.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich eine Bundesregierung so umfangreich
vorgenommen, das Leben für queere Menschen in Deutschland zu verbessern. Welche entscheidenden
Veränderungen wird es geben?
Es gibt mehrere Kapitel, in denen die Rechte von LGBTQ+-Personen gestärkt werden. Ein großes Vorhaben
ist ein nationaler Aktionsplan. Das fordern wir als Verband schon seit vielen Jahren. Der Plan
enthält Maßnahmen, die sich der Abschaffung von Queerfeindlichkeit widmen, etwa durch Aufklärungsarbeit
an Schulen. Bayern ist bisher das einzige Bundesland, das keinen derartigen Aktionsplan
besitzt. Es ist wichtig, dass diese Lücke endlich gefüllt wird, zumal die strukturelle Arbeit zur Abschaffung
von Vorurteilen und Diskriminierung nicht Aufgabe der Länder, sondern des Bundes ist.
Insgesamt wird das Thema in vielen Bereichen im Vertrag mitgedacht und nicht, wie sonst, als Sonderthema
behandelt, etwa in der Außenpolitik, in der Gleichstellungspolitik und in der Bildungsarbeit.

Wie genau sollen die Rechte von LGBTQ+-Personen gestärkt werden?
Es wird viele juristische Reformen geben. Es wird eine Erneuerung des Abstammungsrechtes auf den
Weg gebracht. Bisher wurde bei lesbischen Paaren nur die biologische Mutter rechtlich automatisch
zur Mutter erklärt. Die Partnerin musste das Kind adoptieren, um den Mutterstatus zugesprochen zu
bekommen. Das soll sich ändern. Kinder, die in eine gleichgeschlechtliche Ehe geboren werden, sollen
zwei rechtliche Elternteile haben.
Darüber hinaus wird endlich eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes erfolgen. Das Gesetz ist
eine Ruine, die in dieser Form nicht mehr angewendet werden kann. Es soll durch ein Selbstbestim-
mungsgesetz ersetzt werden, das es möglich macht, den Geschlechtseintrag im Personenstand per
Selbstauskunft im Standesamt zu ändern – ohne, dass psychologische Gutachten erforderlich sind.
Das ist eine große Erleichterung für viele transgeschlechtliche Menschen. Andere Beispiele sind eine
Abschaffung des Blutspendeverbots für homosexuelle Männer und Transpersonen oder die nachhaltige
Förderung der Magnus-Hirschfeld-Stiftung.

Wie kann Bildungs- und Jugendarbeit inklusiver gestaltet werden?
Wir haben in der Jugendarbeit ein ähnliches Problem wie in der Schulbildung. Das Thema LGBTQ+
wird meist als Sonderthema behandelt. Es gibt dann ein paar Veranstaltungen im Jahr, sonst spielt es
aber kaum eine Rolle. Gerade die Jugendarbeit hat aber den Anspruch, Jugendliche in ihrer Selbstfindungsphase
zu unterstützen, etwa durch Aufklärung, Projekte und Informationskampagnen. Das
Thema sollte in andere Bereiche integriert werden und im Gesamtkontext von Anti-Diskriminierungsarbeit
neben beispielsweise Rassismus, Ableismus und Antisemitismus mitgedacht werden.

Fast täglich werden LGBTQ+-Personen Opfer von Hass und Gewalt. Wie kann Jugendarbeit dem entgegenwirken?
Jugendarbeit kann einen wichtigen Beitrag leisten. Gerade wenn Jugendliche Hass im Netz erfahren,
wenden sie sich meist zuerst an diese Einrichtungen. Zuzugeben „Ich werden gemobbt“ ist immer mit
einem Outing verbunden. Deshalb sind Jugendzentren wichtige Ansprechpartner und Dreh- und Angelpunkte,
sowohl gegen Hass im Netz als auch gegen Gewalt. Deutschlandweit werden 80 bis 90 Prozent
der queerfeindlichen Straftaten nicht zur Anzeige gebracht. Jugendarbeit kann dazu beitragen,
ein flächendeckendes Netz aufzubauen, um queerfeindliche Straftaten zu erfassen und den Menschen
zu helfen. Oft versuchen Opfer, allein mit dem, was ihnen passiert ist, zurecht zu kommen, weil sie
sich nicht trauen zur Polizei zu gehen. Gerade im ländlichen Raum ist die Schwelle, derartige Fälle bei
der örtlichen Polizei zu melden, sehr hoch.
Generell sind Aufklärungsarbeit und Gewaltprävention wichtige Aspekte. Man muss den Jugendlichen
zeigen: Was ist überhaupt strafrechtlich relevant und was kann zur Anzeige gebracht werden?
Wörter wie etwa „Schwuchtel“ sind eine strafrechtliche Beleidigung, die angezeigt werden können.

Was kann ich persönlich tun, wenn ich Zeuge von queerfeindlicher Gewalt werde?
Egal ob im Bus, in der U-Bahn, am Arbeitsplatz oder im Netz: Es ist wichtig, für die Opfer da zu sein –
wenn sie es wollen – und sie zu schützen. Das Schlimmste ist, wenn man angegriffen wird und niemand
einem hilft. Man kann den Personen anbieten, sie zu einer Beratungsstelle oder zur Polizei zu
begleiten. Oft hilft es, wenn man selbst gut über das Thema informiert ist und weiß, was zur Anzeige
gebracht werden kann. Am wichtigsten ist es, dass man dem Opfer Glauben schenkt und das Geschehene
nicht relativiert, indem man sagt: „Die Leute sind halt so“. Man darf sich mit Queerfeindlichkeit
nicht abfinden, sondern muss aktiv werden.

Interview: Merle Hubert für die Süddeutsche Zeitung: https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/823729/34

Die Veranstaltung findet wieder am Dienstag, 21. Juni, von 15 Uhr an via Zoom statt. Anmeldung über die
Homepage des Bezirksjugendrings Oberbayern.