Biete online Coaching zum Sonderpreis an. Die Timeline wird gerade geflutet von Angeboten freiberuflich tätiger Menschen, die sich inmitten der Krise versuchen kreativ über Wasser zu halten. Sie waren mit die ersten, denen alle Einkommensquellen wegbrachen.
Sehr gerne greift auch die Jugendarbeit auf freiberufliche Referent*innen, Trainer*innen, Facilitators, usw. zurück. Sei es für den Input bei der Fachtagung, für die key speach am Kongress, den Workshop im Qualifizierungsseminar oder gleich das mehrtägige Training.
Dafür werden mehr oder weniger faire Honorare ausgehandelt, um die Reisekosten gerungen und sehr oft nicht einmal ein einfacher Vertrag geschlossen. Rechtlich ist ja ein mündlicher Vertrag ausreichend. Pauline Füg, die Poetry Slamerin, Autorin und Dipl. Psychologin stellt klar: “Bei mir werden viele Verträge auch einfach per Mail geschlossen, das ist sicherer als mündlich, aber natürlich bietet einem da auch niemand Ausfallhonorar“. Und weiter: “Oft steht in Verträgen auch, dass bei höherer Gewalt jede*r die eigenen Kosten trägt – gerade ist ja höhere Gewalt, oder?”
Klar, wer freiberuflich tätig ist, kennt seine Risiken: Krankheit, Absagen von Veranstaltungen, kurzfristige Änderungen, all das nehmen Freiberufler*innen gerne in Kauf, oder auch murrend hin, das ist eben der Preis für die Unabhängigkeit. Marisa Kohler, Trainerin, Coach und Bloggerin für faire Mode und nachhaltigen Lebensstil sagt: “Vor allem das Thema Vorbereitung/Nachbereitung ist leider häufig in der Kalkulation nicht drin oder für einige nicht nachvollziehbar.” Pauline Füg ergänzt: “viele Lesungen und/oder Workshops für Kreatives Schreiben, die mir gerade abgesagt wurden, hatte ich ja dennoch schon inhaltlich konzipiert, Vorgespräche geführt, individuelle Inhalte erstellt.”
Auf der anderen Seite stehen wir Träger. Wir nehmen es sehr gerne an, dass durch die Zusammenarbeit mit freiberuflich tätigen Menschen kaum weitergehende Verpflichtungen entstehen. Sozialversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Ausfallhonorar bei Absage? Alles nicht unser Problem! Aber halt, ist das wirklich so?
Wer den Markt lange genug beobachtet stellt fest, dass auch im sozialen Sektor neoliberale Strömungen schleichend Einzug gehalten haben. Vor Jahren war es noch die Regel, dass mit freiberuflich Tätigen zumindest einfache Verträge geschlossen wurden, in denen Stornoregelungen mit anteiliger Erstattung des entgangenen Honorars vereinbart wurden. Jetzt ist es oft nur noch eine mündliche Absprache.
Klar, auch dieses Spiel hat zwei Seiten. Sehr oft fragen Freiberufler*innen gar nicht mehr nach einer Ausfallregelung und wir, als Träger, bieten sie auch nicht aus freien Stücken an. Wir sind ja zum sparsamen und wirtschaftlichen Handeln verpflichtet.
Jetzt in der Krise, in der alle Veranstaltungen auf unbestimmte Zeit abgesagt wurden, sind die freiberuflich tätigen Menschen mit die ersten Verlierer. Bei vielen ist das gesamte Einkommen weggebrochen, die Kosten für das eigene Leben laufen aber weiter.
Wenn es stimmt, dass die Welt nach solch großen Einschnitten eine Neue sein wird. Wenn es stimmt, dass es auch an uns allen liegt, diese Veränderungen positiv zu gestalten, dann sollten wir alle unser Verhalten und unsere Verantwortung gegenüber Menschen überdenken, die in irgendeiner Weise wirtschaftlich von uns abhängig sind und neu starten. Wir haben auch neoliberales Denken von Angebot und Nachfrage übernommen. An Stelle dieses Denkens sollte solidarisches Handeln die neue Maxime sein. Angemessene Entlohnung und fairer Umgang mit den Risiken der Freiberuflichkeit, von der wir als Träger in seiner Vielfalt, seiner Kreativität und seiner Kompetenz sehr profitieren sind nur ein paar Schlagworte für den Umgang miteinander.
Ich schlage eine freiwillige Selbstverpflichtung vor, keine Verträge mehr abzuschließen in denen die Verantwortung für gerechte Entlohnung allein auf die Vertragspartner*innen abgewälzt wird. Wir sollten uns auf Mindestsätze einigen, die wir Freiberufler*innen anbieten. In Verträgen, die zwingend abzuschließen sind, sollten Regelungen aufgenommen werden wie: “Bei Absage der Veranstaltung erhält die Referent*in 50% des vereinbarten Honorars”. Bei unseren Geldgebern, die sehr oft die öffentliche Hand sind, sollten wir für eine Sensibilisierung für das Thema und ausreichende Gegenfinanzierung werben. Bei den Teilnahmegebühren für Veranstaltungen sollte der Faktor ausreichende Finanzierung der gebuchten Referent*innen einkalkuliert werden.
Aber auch unter den freiberuflich tätigen Menschen sollte Transparenz und Solidarität einziehen. Nicht unter einem Mindestsatz tätig zu werden, sollte dabei der Minimalkonsens werden. Im Kulturbereich gibt es seit ein paar Jahren die länderübergreifende Initiative art but fair diese könnte Vorbild dafür sein.
Der Bezirksjugendring Oberbayern hat schon seit langer Zeit eine freiwillige Selbstverpflichtung, keine Praktika anzubieten, bei denen der/die Praktikant*in nicht entlohnt wird. Das wäre schon mal ein Anfang.
Um Missverständnissen vorzubeugen, hier ist explizit nicht von ehrenamtlicher Tätigkeit die Rede die mit einer steuerfreien Aufwandsentschädigung vergütet wird.
Gedanken von Tom Muhr